Iris Kreutzer ist im städtischen Fachbereich Wohnen, Soziales und Integration Leiterin der geschäftsführenden Stelle des Programms „Durchstarten in Aachen“, einer Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen. Foto: Stadt Aachen/Andreas Herrmann

Jungen Geflüchteten soll die reelle Chance auf ein selbstbestimmtes und selbstbewusstes Leben in Deutschland gegeben werden. Ein entsprechendes Programm heißt „Durchstarten in Aachen“.

Sie waren Kinder oder Jugendliche, als sie ihr Spielzeug, Kameraden, Nachbarn, oft die ganze Familie verlassen mussten. Manche von ihnen verloren auf ihrer Odyssee die Eltern, andere wussten nicht einmal mehr ihren Namen, viele sind traumatisiert. Heute blicken die inzwischen herangewachsenen Mädchen und Jungen einer ungewissen Zukunft entgegen.

„Mit dem Status ‚geduldet‘ steht ihnen offiziell kein geförderter Deutschkurs zu, sie werden zwar versorgt, aber nicht konkret integriert“, weiß Iris Kreutzer, Leiterin der geschäftsführenden Stelle eines besonderen Projekts beim Fachbereich Wohnen, Soziales und Integration der Stadt Aachen. Mit dem Programm „Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“, einer Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen, das dafür 50 Millionen Euro ausgibt, hat sich in ihren Augen eine Tür geöffnet. Es bietet den 18- bis 27-jährigen aus Ländern wie Afghanistan, dem Irak, den Westbalkanländern, Guinea, Bangladesch oder Pakistan eine reelle Chance auf ein selbstbestimmtes und selbstbewusstes Leben.

Für die Region wandelte man das Motto um in „Durchstarten in Aachen. Qualifizierung und Sprachtraining für junge Geflüchtete“ und nennt dabei sofort das Kernanliegen. „Ohne Sprache geht gar nichts“, betont Iris Kreutzer. „Hinzu kommen Schreiben und Lesen. Wer vielleicht die Schrift seiner Kultur beherrscht, kommt häufig nicht klar mit dem, was man hier in der lateinischen Schrift bewältigen muss. Weiterhin ist für viele Alphabetisierung dringend notwendig.“

Gemeinsam mit engagierten Kooperationspartnern entwarf man in Aachen einen Handlungsrahmen aus sechs praktikablen Förderbausteinen, die kombinierbar sind und so nicht nur die Integration verbessern, sondern gleichfalls für junge Erwachsene die Möglichkeit bieten sollen, in absehbarer Zeit ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Schritt für Schritt wird das „Durchstarten“ aufgebaut.

Der Beginn ist stets ein Beratungsgespräch, bei Bedarf ein ganz individuelles Coaching, gefolgt von berufsbegleitender- oder berufsvorbereitender Qualifizierung und Sprachförderung sowie Schulabschlüssen. Die Stadt erhält dafür ein Fördervolumen von 545.524 Euro. Zusätzlich fördert sie je nach Baustein mit einem Eigenanteil von 20 Prozent. Ins Spiel kommt zudem ein Innovationsfond für besondere, innovative Maßnahmen, den das Land zusätzlich finanziert.

„Durchstarten funktioniert nur gemeinsam. Die Bereitschaft zur Mitwirkung ist in Aachen sehr hoch“, betont Iris Kreutzer. Neben dem Kommunalen Integrationszentrum der Stadt Aachen übernehmen langjährig erfahrene Qualifizierungsträger und Einrichtungen Verantwortung. Mit dabei sind die Picco Bella gGmbH, das Sozialwerk Aachener Christen, die low-tec gemeinnützige Arbeitsmarktförderungsgesellschaft Düren mbH, die QualiTec GmbH der Handwerkskammer Aachen, die Sprachenakademie Aachen gGmbH, die Volkshochschule Aachen (College), die Jugendberufshilfe Stadt Aachen sowie die Berufskollegs Mies-van-der-Rohe, Käthe Kollwitz sowie Gestaltung und Technik der Städteregion.

Mit Schaffung dieser Strukturen entwickelten sich klare Wege des Handelns. „Jeder Mensch ist unterschiedlich in seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten“, sagt die Organisatorin. Zunächst galt es allerdings, die Zielgruppe überhaupt zu ermitteln, was der Datenschutz stark einschränkte. „Unglaublich, allein in NRW sind es rund 23.000 junge Menschen, aber es ist nicht so einfach, sie zu finden“, weiß Iris Kreutzer. Da im eigenen Fachbereich Einblick in das Ausländerzentralregister möglich ist und die Sozialdienste, die in den städtischen Übergangsheimen aktiv sind, sehr unterstützen, konnten bisher in Aachen 46 Frauen und 182 Männer im Alter zwischen 18 und 27 Jahren in das Projekt aufgenommen werden.

Die Teilnahme ist freiwillig und beginnt mit einem persönlichen Gespräch. Bereits im ersten Gespräch wird klar, dass es meist die mangelnden Sprachkenntnisse oder fehlenden Qualifikationen sind, die jungen Geflüchteten im Wege stehen. „Sie haben keinen Anspruch auf einen Integrationskurs, die Schwierigkeiten kommen spätestens, wenn es um einen Job oder eine Ausbildung geht“, weiß Iris Kreutzer.

Die Teilhabemanger arbeiten sehr eng mit den Coaches zusammen. „Ein Coach hat maximal 20 Klienten, um die er oder sie sich kümmern, man schätzt für etwa ein halbes Jahr“. Der erste und wichtigste Schritt: Vertrauen schaffen. Der zweite Schritt: Dem Gegenüber signalisieren, dass man da nicht jemanden hat, „der alles macht“, sondern einen Ratgeber, der unterstützend zur Seite steht. Sie helfen, dass sich die jungen Ratsuchenden mit ihren eigenen Stärken und Fähigkeiten auseinanderzusetzen, helfen ihre Potenziale zu erkennen. Sie unterstützen auch beim Ausfüllen von Formularen, bei Wegen zu Ämtern oder anderen wichtigen Terminen. Iris Kreutzer: „Wir fördern, damit diese jungen Menschen mittelfristig ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten können. Ebenso fordern wir aber auch. Wer sich freiwillig gemeldet hat, dann aber mehrfach nicht zu den Terminen oder Maßnahmen erscheint, ist „raus“. Andere können nachrücken“.

„Durchstarten in Aachen“ bietet jungen Geflüchteten eine Vielzahl an Qualifizierungen und Unterstützungsmöglichkeiten, von denen ein Großteil der bisher 228 aktiven Personen sehr erfolgreich profitiert.

Quelle

Aachener Zeitung vom 15.10.2021

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